Interview mit Wilhelmschülern:
„Der Zusammenhalt stärkt mein Selbstbewusstsein“
(Quelle: Gränzbote vom 13.12.2021)
Kein Fußball-Training, ständig am Handy: Was sich für Tuttlinger Jugendliche in der Corona-Pandemie verändert hat
Pearl Hoffmann: Nein, nicht wirklich. Das habe ich eher für mich behalten. Abends, wenn ich schlafen gegangen bin, ist mir immer eingefallen, dass ich am nächsten Tag schon wieder so viele Aufgaben machen muss. Um nur irgendwie die Klasse zu schaffen. Ich dachte, dass es hilft, wenn ich ab und zu mal mit meiner Familie oder meinem Vater rausgehe. Aber das hat einfach nichts gebracht.
Was hat sich verändert, seit du wieder in die Schule gehen kannst?
Pearl Hoffmann: Unsere Klasse ist super. Man kann mit allen gut reden. Der Klassenzusammenhalt stärkt gerade auch wieder mein Selbstbewusstsein. Deswegen geht es mir deutlich besser gerade.
Vorhin fiel das Stichwort schon einmal: Handynutzung. Wie hat sich diese während der Pandemie verändert?
Patrick Holtreich: Wenn man ehrlich ist war ich schon doppelt so viel wie zuvor am Handy. Acht Stunden vielleicht. Man ist auf Social Media, Instagram, Snapchat, Tiktok.
Miriam Siegloch: Man ist aber auch wegen der Schule am Handy. Ich habe im Lockdown alle fünf Minuten meine Mails gecheckt, ob ich Nachrichten von den Lehrern bekommen hab. Damit ich die Aufgaben schnell verbessern konnte.
Mattia Gullo: Ich habe mir auch Youtube-Videos für die Schule angeschaut oder habe telefoniert. Aber ja, ich war auch auf Tiktok. Das waren insgesamt bestimmt zehn Stunden pro Tag am Handy.
Im Zuge der Facebook-Enthüllungen gab es vor Kurzem noch einen Aufschrei wegen negativer Folgen von Sozialen Medien auf junge Menschen. Was hat der ganze Konsum mit euch gemacht?
Miriam Siegloch: Ich habe nur Tiktok. Wenn ich da Videos angucke, beeinflusst mich das eigentlich nicht. Das ist einfach nur aus Langeweile, weil man irgendetwas machen will.
Pearl Hoffmann: Das Konsumieren hat mich nicht direkt verändert. Aber jetzt, wo Schule ist, muss ich ja um eine bestimmte Uhrzeit ins Bett, um am nächsten Tag nicht müde zu sein. Im Lockdown war ich aber die ganze Nacht am Handy, konnte nicht mehr richtig schlafen. Der ganze Rhythmus war kaputt. Als die Schule wieder losging, musste ich erstmal wieder gucken, dass ich Schlaf bekomme.
Wann seid ihr denn immer so ins Bett gegangen?
Die Stimmen vermischen sich. Um drei. Vier. Um eins. Drei. Vier. Zwei.
Und jetzt?
22 Uhr. 23 Uhr. Ins Bett? Um 21 Uhr. Schlafen kann ich aber erst um 1 Uhr.
Leonhard Rädle: Wir haben an vier Tagen mittags Schule. Manchmal ist man total kaputt, wenn man so spät nach Hause kommt und dann auch noch Lernerfassung schreibt. Da gehe ich dann auch manchmal um 20 Uhr ins Bett.
Miriam Siegloch: Wegen des Lockdowns müssen wir noch richtig viel Stoff nacharbeiten. Das macht total Druck, alles schnell zu kapieren.
Welche Fächer machen euch da am meisten zu schaffen?
Mattia Gullo und Leonhard Rädle: Deutsch.
Der Rest: Mathe.
Warum machen euch gerade diese beiden Fächer so große Sorgen?
Patrick Holtreich: Mathe wird immer schwerer. Wir haben jetzt erst angefangen mit den Themen, die wir für die Abschlussprüfungen benötigen.
Miriam Siegloch: Weil wir gerade mit dem Stoff hinterherhängen besprechen wir neue Themen, machen die Aufgaben und dann kommt gleich der nächste Input. Wir haben nicht wirklich Zeit, das alles zu verstehen. Früher hatten wir immer eine Woche für die Aufgaben und haben alles wiederholt. Das ist jetzt nicht mehr so.
Mattia Gullo: Ich bin erst seit 2014 in Deutschland. Manchmal habe ich Schwierigkeiten, die deutsche Sprache zu lernen. Meine Eltern können nur Italienisch. Zum Glück helfen mir meine Freunde dann bei den Hausaufgaben.
Also ihr bräuchtet alle mehr Zeit. Was wünscht ihr euch sonst noch, damit es euch besser geht?
Miriam Siegloch: Vielleicht noch Nachhilfe für Mathe.
Kyara Veit: Essen. Alle lachen.
Mattia Gullo: Eigentlich wünsche ich mir einfach nur, dass die Schulen nicht wieder geschlossen werden.
Leonhard Rädle: Noch ein Lockdown? Dann weiß ich nicht, ob man überhaupt noch hinbekommt, etwas zu machen.
Könnt ihr euch noch eine Welt ohne Masken und ohne Abstand vorstellen?
Breites Kopfschütteln. Nein.
Miriam Siegloch: Ich hab mich schon so an die Maske gewöhnt, dass ich sie manchmal aufhabe und es gar nicht mehr merke. Das ist normal geworden.
Kyara Veit: Als alles gelockert wurde, waren wir im Urlaub in Tschechien. Da waren die Regeln viel lockerer. Man musste nur zum Einkaufen eine Maske tragen. Man konnte die Gesichter von anderen Menschen sehen. Als wir wieder zurück waren, war es so, als hätten wir die Dimension gewechselt. Aber ich glaube, wir müssen jetzt damit leben. Was ich aber nicht hoffe.
Inwiefern habt ihr Zukunftssorgen?
Leonhard Rädle: Falls ich mal eine Familie habe, will ich ja in so einer Pandemie keine Kinder großziehen. Das fühlt sich komisch an. Ich denke da schon ziemlich weit in die Zukunft.
Pearl Hoffmann: Nach der Schule möchte ich eigentlich eine Ausbildung als Köchin machen. Aber die ganzen Gaststätten wurden ja als Erstes geschlossen. Da habe ich die Sorge, dass, wenn ich das anfange, die Gastronomie wieder schließen muss und ich keine Arbeit habe.
Miriam Siegloch: In der achten Klasse hätten eigentlich Praktika stattgefunden. Das ist jetzt ausgefallen. Ich habe es jetzt zwar nachgeholt. Aber ich möchte zur Polizei. Da muss man einen Eignungstest bestehen. Ich habe Sorgen, dass ich die Voraussetzungen nicht erfülle. Zum Beispiel bei der Intelligenz, weil der Stoff fehlt. Das ist schon mein Traumberuf. Ich habe jetzt schon angefangen zu joggen deswegen oder google manchmal Sachen, dass ich schlauer werde.
Trotz aller Sorgen: Ihr habt eingangs gesagt, dass ihr auch Positives durch die Pandemie erlebt habt. Was gehört dazu?
Pearl: Hoffmann Ich hatte abends mehr Zeit mit meinem Vater zu reden oder einen Film zu gucken, konnte mehr mit der Familie machen. Das war auch mal ganz lustig.
Miriam Siegloch: Ich habe jetzt mehr Computerkenntnisse. Früher hatte ich da gar keinen Plan. Und ich finde, dass ich selbstbewusster geworden bin. Weil ich mich immer selbst motivieren musste. Ich kann jetzt auch besser vor Menschen reden.
Mattia Gullo: Wir haben in der Krise oft Spiele gespielt, Karten- und Brettspiele wie Schach zum Beispiel. Das war lustig. Außerdem bin ich selbstständiger geworden.
Anna-Lena Falke: Vor dem Lockdown haben meine Mutter und ich uns kaum gesehen. Ich bin von der Schule gekommen, dann musste sie zur Arbeit. Im Lockdown war sie dann im Home-Office und wir haben viel mehr miteinander geredet und gemacht.